Freitag, 4. Juli 2008

MASS EFFECT (PC) - Gamekritik

Positiv:
  • unvergessliches, extrem detailverliebtes und glaubwürdiges Universum
  • aussergewöhnlich spannende, wahrlich epische, immer wieder überraschende Story mit furiosem, restlos überzeugendem Finale
  • phänomenales Figurendesign (sowohl optische Erscheinung, als auch Persönlichkeit) mit unglaublich lebensechter Mimik und Gestik (gleichermassen Mensch und Alien!)
  • brilliant geschriebene, flexible Dialoge mit konsequenten moralischen Konflikten und spürbaren Auswirkungen der Entscheidungen des Spielers
  • insgesamt ausserordentlich gute deutsche Lokalisierung (stimmlich v.a. Ashley, Joker und die Sovereign)
  • Schwierigkeitsgrade (5 verschiedene) jederzeit wählbar


Negativ:

  • Nebenmissionen definitiv zu monoton (identische Levebauten) und zu unspektakulär bzw. ereignisarm (wenige wirklich interessante Subplots bzw. wenig Narration)
  • Story (Hauptmissionen insgesamt) für ein RPG definitiv zu kurz
  • zu einfach; Gegner sind zu schwach (beim ersten Spieldurchlauf kann man den 4. und 5. Schwierigkeitsgrad nicht auswählen) und man wird viel zu schnell viel zu reich
  • Universum wirkt noch zu unbelebt (zuwenig Aktivität in zuwenigen begehbaren Städten)
  • Gruppenmitglieder reagieren nicht immer auf Befehle

Wie lange hat der science-fiction-versierte Rollenspiel-Fan gewartet. Ständig kamen diese reinrassigen mittelalterlichen Fantasy-Games, die man zwar gerne spielte, welche schlussendlich aber nur die Sehnsucht nach Sci-Fi nährten. Dann, vor ein, zwei Jahren, nachdem klar wurde, dass sich BioShock in eine groteske Vergangenheit verlagerte und STALKER eher in einer apokalyptischen Gegenwart angesiedelt war, zeichnete sich plötzlich die Silhouette eines Hoffnungsträgers ab: Mass Effect! Von niemand geringerem als BioWare, dem quantitativ wie qualitativ geliebten Rollenspiel-Spezialisten. Und die in das Spiel gesetzten Erwartungen wurden in vielerlei Hinsicht auf brilliante Weise eingelöst.


In diesem Sinne zuerst einmal: Danke BioWare, dass ihr ein so wunderbares Universum geschaffen habt! Nicht nur ist Mass Effect reinrassige Sci-Fi (wenn es das überhaupt gibt), sondern es ist, für ein Computer-Spiel, fantastische Hard Sci-Fi! Lange ist es her, seit ein futuristisches Universum in diesem Masse durchdacht war und erläutert wurde. Mit anderen Worten: so glaubwürdig war. Danke auch, BioWare, dass ihre im Gegensatz zu Final Fantasy XII, in erster Linie an die Story gedacht und etwas dementsprechend besonderes geschaffen habt! Danke dafür, dass die Figuren des Spiels dermassen faszinieren, sowohl von der äusseren Erscheinung her, als auch von ihrem Charakter und dies gleichgültig, ob es sich um menschliche oder extraterrestrische Individuen handelt. Danke schliesslich, dass ihr mir im Gegensatz zu BioShock die Freiheit auch tatsächlich gebt, anstatt weitgehend leere Versprechungen zu machen. Das fängt bereits mit dem übersichtlichen, aber dennoch vielseitigen Figuren-Editor an.
Kurz gesagt: Mass Effect macht verdammt viel verdammt richtig!
Bereits bei obiger punktuellen Auflistung fällt aber auf, dass es immer noch einige negative Aspekte gibt, die ich im folgenden, mehr noch als die positiven Aspekte, ausführen will. Dies soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass ich das Spiel insgesamt für brilliant halte und mich dermassen in sein Universum, die Story und meine Partymitglieder verliebt habe, dass ich das Game mit fünfeinhalb von sechs Sternen bewerte. Hätte BioWare nur einige der genannten negativen Punkte ausgemerzt, wie der eher zurückhaltende Einbezug der Gruppenmitglieder in den Hauptplot, würde ich sofort uneingeschränkt von einem Sci-Fi-Meisterwerk sprechen.
Beginnen wir mit der Kritik gleich bei der Spielwelt. Wie bereits angetönt, ist das eigens für diese Trilogie geschaffene Universum an und für sich eine kleine Offenbarung. Theoretische Grundlage bildet eine spielinterne, umfassende Enzyklopädie, genannt Kodex. Ein Grossteil der Glaubwürdigkeit geht allein vom darin textuell vermittelten Wissen aus (lest also bloss fleissig!). Doch leider ist der Kodex absolut optional und die daraus erziehlten Kenntnisse für das Verständnis des Spielgeschehens meistens zwar hilfreich, aber nicht nötig. In diesem Sinne funktioniert mir das Universum als in einem Rollenspiel besonders wichtiger Inhalt noch zu sehr über den Kodex. Ich hätte diese Exposition lieber über die Narration im Spiel oder Zwischensequenzen, und weniger über isolierte, optionale, textbasierte Enzyklopädien. Im Vergleich zur theoretischen Basis wirkt die konkrete Spielwelt (deswegen) schlicht noch zu unbelebt. Man kann insgesamt nicht nur zuwenig Städte besuchen, sondern erhält in diesen auch zuwenig Einblick in den Alltag des Universums, selbst in Citadel, sodass man rein von der Inszenierung der konkreten Spielwelt her kein wirkliches Gefühl für das reich bevölkerte, konfliktgeladene Universum bekommt. Hier hat beispielsweise ein durchaus vergleichbares Spiel wie Fable deutlich mehr überzeugt.


Die zentrale Story des Spiels, welche über die Hauptquests erzählt wird, hält in puncto Rasanz und Intensität, Epik und Existentialität locker mit den grossen Genrevertretern (Final Fantasy XII lässt es in dieser hinsicht beispielsweise weit hinter sich) mit und fesselt einen unweigerlich immer wieder mit ihren moralischen Konflikten. Die Inszenierung der Hauptquests sollte jeden vollends begeistern. Ich denke treffend gesagt verschmilzt die Geschichte mit dem genialen Universum und den faszinierenden Figuren zu einem unvergesslichen Spielerlebnis. Es gibt so einige unvergessliche Momente, von denen hier das monumentale Finale, bei dem nochmals alle Register gezogen werden, besondere Erwähnung finden soll. Monumantale Veränderungen im Universum, echte Dilemmas bei den Entscheidungen, noch aufwendigeres Leveldesign und epische Zwischensequenzen – genauso wollen wir das bei einem richtigen RPG! Der Showdown und Epilog verschaffen eine unheimlich zuversichtliche Vorfreude auf den Nachfolger.
Trotz der inszenatorischen Finesse und der vielschichtigen, existentiellen Geschichte, bleibt ihre Kürze zweifelsohne ein Wehrmutstropfen. Denn um richtig in einer Rollenspiel-Welt zu versinken (oder: für ein wirklich erfülltes Rollenspiel-Erlebnis), brauche ich einen Hauptplot, der mich länger als zwanzig Stunden fesselt. Am liebsten über mehr Hauptmissionen bei gleichbleibendem Spannungslevel und gleichbleibender Missionslänge. Klar, die Rasanz wird leiden, aber ich muss in einem Rollenspiel nicht so zielstrebig vorankommen, wie in einem Ego-Shooter. Ich will lieber intensiv die Spielwelt, die zentralen Figuren und deren Konflikte erleben. Wieso baut BioWare nicht noch einige Subplots ein bzw. verwebt einige der besseren Nebenmissionen mit den zentralen Aufträgen? Beispielsweise die optionalen Missionen für Wrex (Rüstung) und Garrus (Doktor „Mengele“). Auf diese Weise verbringe ich auch automatisch mehr Zeit mit diesen. Meine Mitkämpfer, gerade wenn sie solch über alle Zweifel erhabenen Persönlichkeiten sind, wie in Mass Effect, gehören als Teil der treibenden Kraft der Hauptstory ohnehin noch mehr in den Hauptplot. Ich will ihnen nicht ständig (auf der Normandy) nacheilen, um mit ihnen etwas zu erleben. Sie sollen noch aktivere Figuren sein und, zusätzlich zu den spontanen Kommentaren, vermehrt selbständig Ereignisse auslösen.


Nebst der Quantität des Hauptplots stösst die Qualität der Nebenmissionen auf kollektiv geteilte Kritik. Sie sind aber der einzige „richtige“ Kritikpunkt an Mass Effect. Dafür gibt es drei triftige Gründe:
Erstens die Levelbauten. Während die Locations der Hauptissionen sehr detailverliebt und abwechslungsreich gestaltet wurden, sind die Hauptquartiere, Bunker, Tunnelsysteme und Schiffe der Nebenmissionen von der Grundstruktur her jeweils identisch. Lediglich die individuelle Inneneinrichtung (Kisten und Geräte) ermöglicht eine Unterscheidung.
Zweitens der Mako. Dieser steuert sich am PC zwar recht spassig, ist meiner Meinung nach aber noch zu mächtig. Erst etwa 85° Steigung halten ihn auf, während ein Aufprall aus 50 Meter Höhe auf die Oberseite des Gefährts sogar ohne jeden Schaden bleibt. Auf diese Weise wird die an und für sich völlig zufriedenstellend designte Landschaft zur Nebensache. Man nimmt sie gar nicht richtig wahr. Mir ist schleierhaft, wieso man den Mako nicht schwächer, aber dafür aufrüstbar gemacht hat.
Drittens die Missionsstories. Angesichts des kurzen Hauptplots gibt es verhältnismässig zuwenig Nebenmissionen, die eine wirklich interessante kleine Geschichte erzählen (z.B. Kampf gegen KI beim Händler auf Citadel; Mann auf Schiff im ewigen Kryoschlaf; Nebenmissionen von Wrex und Garrus; Cerberus). Meistens gibt es zudem während dieser Missionen fast keine Narration in Form von Zwischensequenzen oder Dialogen. Selbst die spontanen Kommentare der Gruppenmitglieder in den Hauptmissionen bleiben aus. Anderseits hört man im Fahrstuhl der C-Sicherheit auf Citadel Radioberichte über die Taten des Spielers, jedoch nur dort.
Insgesamt sind die Nebenquests aufgrund dieser drei Defizite definitiv zu eintönig und ereignislos ausgefallen. Sie verkommen mit der Zeit sogar zur Pflichtübung: Nach Abwurf Blick auf Karte, dann mit dem Mako ungehindert schnurgerade auf den Zielort rasen, dann auswendig gelerntes Gebäude stürmen und säubern, schliesslich Missionsende ohne weiteres Ereignis. Auf diese Weise geht ein nicht unwesentlicher Teil der herrlich geheimnisvollen Atmosphäre verloren, welche in den intensiven Hauptmissionen entstanden ist. Es hört sich hier aber schlimmer an, als es schlussendlich ist. Man spürt immerhin bereits ganz klar, dass die Idee der Nebenmissionen (mit Mako unbekannte Planeten erforschen) und damit verbundene, unheimlich fruchtbare Stimmung "Allein-auf-dem-Mond" absolut funktionieren und das Spielerlebnis entscheidend bereichern könnte. In diesem Sinne kann BioWare beim nächsten Teil ohne viel aufhebens punkten. Hoffentlich warten sie auch gleich mit einem selbst steuerbaren Raumschiff auf. So könnte man ein potentiell noch besseres Gefühl für das Universum bekommen.


Das Ballern (hab das Spiel nur einmal als Infiltrator und ausschliesslich mit Scharfschützengewehr, Grataten und Pistolen gelöst), geht wunderbar eingängig vonstatten. Dank der unzähligen Upgrades und Munitionsarten wird eine traumhafte Tiefe hinsichtlich der Ausrüstung und Bewaffnung erreicht. Auch taktisch tun sich erfreulich viele Möglichkeiten auf. Schade nur, dass die Teammitglieder nicht immer exakt auf Befehle reagieren. Das eigentliche Problem ist aber, dass das Spiel noch zu leicht ist, selbst auf dem 3. Schwierigkeitsgrad (4 und 5 sind beim ersten Durchspielen noch nicht auswählbar). Zum einen sind die Gegner schlicht zu schwach, zum andern wird man extrem schnell viel zu reich. Das ganze Handelssystem wird dadurch komprommitiert.
Man merkt also, dass in Mass Effect noch reichlich ungenutztes Potential steckt. Ich hoffe nun, dass sich BioWare auch weiterhin an seine Tugenden hält und die Story im nächsten Teil nicht plötzlich zu kurz kommen lässt. Die Grafikengine und viele Teile des Universums stehen ja bereits, sodass einem weiteren dermassen fesselnden Abenteuer wenig im Weg stehen sollte.

Fazit: Ein fantastisch erzähltes, wahrhaft episches Hard-Sci-Fi-Abenteuer in einem grandiosen Universum. Leider vermag das Design der Nebenmissionen nicht in diesem Ausmass zu überzeugen. Dennoch schlicht und einfach ein Muss für jeden Science-Fition-Fan! Und definitiv eines der besten drei Spiele des Jahres!

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