Freitag, 15. August 2008

DER SCHWARM (2004) - Buchkritik

Hin und wieder - so alle paar Jahre - kann ich mich dazu durchringen, einen Roman zu lesen. Über "Der Schwarm" hatte ich schon viel gehört. Wissenschaftsthriller - genau die Art von Buch, die ich lese. Da ich nicht bloss ein paar Wochen Urlaub hatte, sondern ein paar Monate (Studentenleben...), entschloss ich mich dazu, dem Schinken eine Chance zu geben. Und hier also, meine Damen und Herren, kommt die erste (und vermutlich einzige) Buchkritik von mir!

Der erste Teil (immerhin fast die Hälfte des ganzen Buches bzw. 434 Seiten) ist top. Wie der Spiegel treffend schreibt: „Ein wild schäumender Abenteuer-Cocktail.“ Doch es geht, zumindest in der ersten Hälfte, eigentlich weniger um eine Abenteuergeschichte, als die gut recherchierte Darstellung eines globalen Katastrophen-Szenarios. Das Buch weiss im ersten Teil allein schon durch seine authentische Schilderung der Ausnahmesituation zu beeindrucken. Das enorme Tempo, mit welchem Höhepunkt auf Höhepunkt folgt, führt über weite Strecken zu begeistertem Lesevergnügen. Daneben bringt es Schätzing auch fertig, das Szenario mit faszinierenden Figuren und einem interessanten Beziehungsgeflecht zu verweben, das aber dem globalen Szenario untergeordnet ist.
Grundsätzlich handelt es sich bei „Der Schwarm“ um ein sehr informatives Werk. Bei der unglaublichen Quantität an nützlichen Informationen sollte es nicht verwundern, dass die Erklärungen (bzw. die Exposition) zeitweise ein Wermutstropfen sein können, weil sie manchmal zu ausführlich gehalten sind oder mit Allgemeinwissen aufgewartet wird, so dass die Erzählgeschwindigkeit leidet. Natürlich lese ich lieber über einen mir bekannten Sachverhalt, als dass mir wichtige Zusammenhänge nicht bewusst werden, aber optimal wurde die Gratwanderung zwischen Verständnis und Rasanz dennoch nicht gelöst. Extrembeispiel: inmitten monumentaler Action, wo die halbe Erde in Bewegung ist und die Schicksale von vielen zentralen Figuren in der Schwebe liegen, kommen plötzlich ganze Unterkapitel ausschliesslich Erläuterungen zu Tsunamis, die jedem hinreichend bekannt sein sollten und an dieser höchst dramatischen Stelle nichts verloren haben. Ich denke es ist in erster Linie dem enormen Abwechslungs- und Einfallsreichtum dieses ersten Teils zu verdanken, dass er trotzdem vollends begeistert.
Im Verlauf des zweiten Teils gibt das Buch dann leider merklich ab. Baut es in dessen ersten Hälfte noch beständig auf, weil die einzelnen Protagonisten und deren Handlungsstränge zusammengeführt werden und weil sich die ganze Welt beständig wandelt (das Katastrophen-Szenario also nach wie vor durch konsequente Entwicklung und Einfallsreichtum überzeugt), kommt nach Seite 600 der „grosse Knick“. Die Gefilde des Globalen, das eigentliche Herzstück des ersten Teils, werden im zweiten Teil nach und nach fallen gelassen und entschwinden schliesslich völlig aus dem Bewusstsein des Lesers, was dem Buch extrem schlecht bekommt. Es wird nichts gleichwertiges neu hinzu gegeben. Statt dessen beschränkt sich die Handlung fast nur auf das Rätselraten im Chateau Whistler. Wenn mal Ereignisse ausserhalb dieses Schauplatzes stattfinden, handelt es sich um Wiederholungen. Das ganze wird langatmiger und unspektakulärer, denn die Figuren und ihr Beziehungsgeflecht sind zu schwach, um das Interesse allein aufrecht zu erhalten. Direkt auf die sich recht früh (in der 590er Seiten) ereignende weitgehende Klärung der Feindesfrage folgt der Tiefpunkt des Buches, der den „Knick“ erst so deutlich erscheinen lässt: Ein vierzig Seiten langes, absolut unmotiviertes (weil keinerlei Verlangen Seitens des Lesers danach besteht) Kapitel in der Eiswüste, welches wie eine Schlaftablette auf die gespannte Erwartungshaltung durch das Vorhaben der Kontaktaufnahme mit dem Feind wirkt. Ich verstehe die Wichtigkeit dieses Kapitels - für die betreffende Figur und die Geschichte - aber es ist abermals an der völlig falschen Stelle. Ausserdem hat Schätzing schon das ganze Buch hindurch auf die Ignoranz des modernen Lebens aufmerksam gemacht!
Würde er gleich darauf wieder Gas geben, wäre noch alles zu retten, schliesslich können 40 Seiten im Vergleich zu den insgesamt 1000 nur ein unbedeutender Furz sein. Doch Schätzing bläst die Story unbeirrt mit bisweilen zusammenhangslos erscheinendem Inhalt auf, zieht vor allem die weit über hundert Seiten andauernde Klärung der genetischen Details der Widersacher nervig in die Länge, anstatt primär die spannende Kontaktaufnahme zu verfolgen. Letztere wird bloss sporadisch behandelt. Ich meine wen interessiert eine vor sich hin plätschernde Diskussion um genetische Details in wissenschaftlichem Kauderwelsch, im Vergleich zu einer leicht verständlichen und viel nützlicheren über Intelligenz oder Kommunikation mit fremden Biologien? Im ganzen dritten Buchteil, dem mit Abstand schwächsten der insgesamt fünf, sind die Konferenzen das einzig wirklich interessante. Da wird endlich mal Tacheles geredet und es geht voran. Man kann's nicht schönreden, seit der Mitte des zweiten Teils fehlt es schmerzlich an Abwechslungsreichtum, Dramatik und Rasanz. Kurz: Das Buch wird spätestens im dritten Teil entzaubert.
Auf Seite 855 kommt dann endlich die ersehnte Wende. Das ganze nimmt unvermittelt wieder an Fahrt auf und leitet den mittlerweile (allein schon aufgrund der Buchlänge) willkommenen Showdown ein. Knapp hundert Seiten (den ganzen vierten Teil über) geht’s nochmals ordentlich ab, bevor ein erneut langatmiger (etwa 20 Seiten langer), traumhaft selbst-reflexiver Monolog folgt, ehe schliesslich das an und für sich zufriedenstellende Finale und der Epilog den Leser mit insgesamt gemischten Gefühlen entlassen.
Das Buch ist von seiner Struktur her zu unausgegoren und inhaltlich völlig unnötig aufgeblasen. 1000 Seiten, vor allem wenn sie, statt wie üblich 36-zeilig, 40-zeilig sind, wären für das, was das Buch in der zweiten Hälfte tatsächlich erzählt, niemals nötig gewesen. Ich denke wenn Schätzing diese Hälfte vergleichsweise nicht so langwierig und ereignislos gestaltet hätte, wenn er die Geschehnisse auf dem Flugzeugträger (dritter Teil) grosszügig komprimiert und das restliche Weltgeschehen nicht vergessen hätte, hätte das Buch insgesamt geradezu exponentiell mehr begeistert. Etwas mehr Strukturanalyse hätte wahre Wunder gewirkt!
Trotzdem hab ich „Der Schwarm“ innerhalb einer Woche verschlungen und das will was heissen! Ich freue mich jedenfalls auf die Verfilmung, die sich angeblich in Arbeit befindet, denn der an und für sich grandiose Stoff (das verdammt weit gedachte, grösstenteils „wissenschaftlich korrekte“ Szenario) ist wie geschaffen dafür – auch aufgrund seiner nicht optimal umgesetzten Basis.

Fazit: Die erste Hälfte begeistert durch die ebenso rasante wie abwechslungsreiche Schilderung eines gut recherchierten, globalen Katastrophen-Szenarios, während die zweite vergleichsweise enttäuscht, weil sie sich genau von diesen Tugenden verabschiedet. Verdammt schade, vor allem, wenn man dabei so stark das Gefühl hat, dass mit ein wenig Umstellen und Kürzen durchaus ein Meisterwerk des modernen Wissenschaftsthrillers realistisch gewesen wäre.
Da mich der Einfallsreichtum des Autors und die unheimliche Fülle an nützlichen Informationen von "Der Schwarm" grösstenteils begeistert hat, und weil ich den Schinken ungeachtet seiner Defizite wie im Rausch verschlungen haben, gebe ich 5 von 6 Punkte.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Vom Schreibstil ist das Buch nun leider mehr als "holprig" . Wie kommst du auf die Idee irgendjemanden könnte deine absolut unqualifizierte Meinung zu diversen hier rezensierten Sachen nur ansatzweise interessieren?

gameria hat gesagt…

tja mein Lieber/Liebe das ist ja das interessante an der ganzen Sache. ich schreibe nicht, weil ich das Gefühl habe, dass es irgendjemanden interessiert, sondern weil es MICH interessiert.
Blog-Schreiben ist für mich ein Mittel, meine Gedanken zu ordnen.
WENN es jemanden interessiert (und das tut es genügend Leute), dann umso besser!

vielleicht mag ich in deinen Augen unqualifiziert sein, viel professioneller kommst du aber nicht rüber.