Mittwoch, 19. Mai 2010

Von der Rendersequenz zur Abschaffung der Zwischensequenz. ODER: Videospielspezifische Diegese während Story-Höhepunkten

Anmerkung: Definition Rendervideos
Vorgerenderte Zwischensequenzen sind Videoclips, welche nicht (direkt) von der Grafikengine des Spiels berechnet werden (=In-Engine-Videos), sondern oftmals mittels eigenständiger Animationssoftware langwierig vorberechnet (=vorgerendert) wurden. Einerseits können sie deshalb besser aussehen und alles darstellen, wo selbst die modernste Grafikengine versagt oder wo diese produktionsbedingt noch nicht vorzeigbar ist – weshalb Teaser und Trailer oftmals in dieser Form daher kommen. Anderseits sind sie deswegen per se nicht-interaktiv – was bei einem Medium, das in erster Linie über Interaktivität funktioniert eigentlich eher fehl am Platz anmutet (vgl. unterster Abschnitt).

Goldenes Zeitalter der vorgerenderten Zwischensequenzen
In den späten 90ern wartete ein Grossteil der Videospiele mit vielen zumindest technisch hochqualitativen vorgerenderten Zwischensequenzen auf. Diese tendierten nicht zuletzt aufgrund ihrer frappanten visuellen Überlegenheit dazu, wesentlich spektakulärer und intensiver als Videos in der Spielgrafik zu sein und werteten Story-Höhepunkte nochmals ordentlich auf. Nicht selten spielte sich damals nahezu die gesamte Story in diesen Rendersequenzen ab. Sie waren eine filmische Bereicherung des interaktiven Spielerlebnisses und als solche natürlich ein prestigeträchtiges Aushängeschild für die Industrie, wo es doch zu dieser Zeit noch fast keine Computeranimationsfilme gab.

Kurswechsel der Branche
Mit der 6. Konsolengeneration, gerade als Rendersequenzen vermehrt kinoreifes Animations-Niveau antasteten (z.B. Final Fantasy X (2001) [Ending], Silent Hill 2 (2001) [Intro], Onimusha 2 (2002) [Opening], WarCraft 3 (2002) [Intro, Call to Arms Trailer]; leider meistens in suboptimaler Qualität), begannen die Spieleschmieden zunehmend in Zwischensequenzen in der Spieleengine zu investieren. Die Folge für die nächsten Jahre waren deutlich weniger und technisch mittelmässige Rendersequenzen und mehr eher unbeholfene, weil oft noch auf Standard-Animationen basierende Videos in der Grafikengine. In vielen Spielen fehlten einfach die cineastischen Story-Höhepunkte, welche bislang die Rendersequenzen geboten hatten. Seit der aktuellen (7.) Konsolengeneration sind Rendervideos zwischen Intro und Outro und abseits von Trailern nun praktisch ausgestorben. Und wie man selbst als inniger Liebhaber dieser Clips heute endlich zugeben kann: zu Recht!


Aufstieg von In-Engine - „Diegese im weiteren Sinne“
Bereits 1998 demonstrierte das avantgardistische Meisterwerk „Metal Gear Solid“ auf der PlayStation 1, dass In-Engine-Videos hinsichtlich Dialog, Kamera und Schnitt filmreif gemacht werden können [Sniper Wolf's Death; hier aus der später erschienen, hochaufgelösten PC-Version]. Nur leider war die ganze Grafik (Auflösung, Texturen, Animationen und Modelle) damals noch nicht viel mehr als ein wabberndes Pixelmosaik [Opening; Original PS1-Version]. Inzwischen ist aber die „Grafikengine-Kunst“ ebenfalls salonfähig geworden. Längst lassen sich in der Spielgrafik kostengünstig und flexibel auch optisch überzeugende Zwischensequenzen realisieren, ohne dass diese „Diegese im weiteren Sinne“, die Grafikengine, verlassen werden muss. Modernste Konsolenpower braucht in ihrer höchsten Auflösung sozusagen keine Kantenglättung mehr, hat fotorealistische Texturen und ermöglicht filmreife Beleuchtung, Modelle und Animationen (Mimik!). Spiele wie Resident Evil 5 [Theatrical Trailer], Uncharted 2 [E3 '09 Trailer] und Final Fantasy XIII [Joy Ride] beweisen, dass man heute sogar In-Engine-Videos produzieren kann, die audio-visuell so fantastisch sind, wie es in früheren Konsolengenerationen nur Rendersequenzen sein konnten. Das Fehlen von letzterem fällt hier schon gar nicht mehr auf, sodass die „Grafikengine-Kunst“ die Renderkunst bei diesen und immer mehr Titeln praktisch gesehen eingeholt hat. Ein Ereignis, das ich lange herbeigesehnt habe.


Ausblick: Wahrung der Interaktivität – „Diegese im engeren Sinne“
Viel wichtiger, besonders im Hinblick auf die weitere Entwicklung des Mediums, ist natürlich, dass In-Engine-Videos nicht von vornherein die „Diegese im engeren Sinne“, die Interaktivität, verunmöglichen. Ich bin zwar der Meinung, dass zumindest für absehbare Zeit in vielen Spielen nicht-interaktive Videosequenzen eine sinnvolle Ergänzung zum interaktiven Spieleerlebnis darstellen können und werden. Aber langfristig gesehen ist es von höherer Priorität eine Verschmelzung von Spiel und Video zu fördern, welche sich der grossen Stärke des Mediums nicht verschliesst. Mehr bedeutende Storyereignisse zu schaffen, die nicht mehr als Zwischensequenzen bezeichnet werden können, weil sie das Spiel nicht unterbrechen. Eindrückliche Beispiele dafür, dass die Diegese in beiderlei Hinsicht in einem aussergewöhnlichen Ausmass gewahrt bleibt und man trotzdem cineastisch kinoreife Erlebnisse hat (und hochqualitative Rendersequenzen nicht misst), sind Heavy Rain [For Love Trailer] und Mass Effect 2 [Launch Trailer]. Schlussendlich weisen sie doch in die einzig sinnvolle Richtung, wenn Videospiele sich weiterentwickeln und als Kunstform wahrgenommen genommen werden wollen.

Daran, dass ich mich tierisch auf Diablo 3 [Debut Teaser] freue, wobei mich das eigentliche Spiel eigentlich gar nicht so interessiert, sondern ich es mir vorwiegend aufgrund des phänomenalen und hoffentlich reichtlich vorhandenen Rendermaterials zulegen werde, vermag diese Tatsache freilich wenig zu ändern.

3 Kommentare:

MasteRehm hat gesagt…

Ich weiß noch wie ein Kumpel und ich vor 10+ Jahren sagten: "Wie geil wird das mal, wenn die Grafik In-Game so aussieht, wie die Rendersequenzen" ;)

gameria hat gesagt…

Genau meine Rede, werter MasteRehm!
Ich frage mich ernsthaft, was in nochmals zehn Jahren der Film diesem Medium audio-visuell noch wesentlich voraushaben soll.
Oder anders gefragt: Wie wird die Filmbranche auf diese Entwicklungen reagieren?

HomiSite hat gesagt…

Heavy Rain dürfte rein aus spieltechnischer Sicht aber nicht der beste Weg sein, wenn mit dem Verschmelzen von Spiel und Zwischensequenz/Story die Mechanik/Interaktion selbst eingeschränkt wird.

Ansonsten ist es für mich auch irgendwie erstaunlich, dass man zur Hochzeit der Rendersequenzen nicht besonders aus der Immersion gerissen wurde, weil der Unterschied zur Spielgrafik ja gewaltig war (PSone!).

Und generell ist es natürlich schön, wenn ein Spiel nun gesamtheitlich homogener erscheint, aber das löst ja nicht wirklich das Kernproblem, wie man anspruchsvollere Geschichten bei spielerischem Gehalt transportieren kann.