Sonntag, 3. Mai 2009

Wie der Krieg im Zeitalter der interstellaren Raumfahrt zum ewigen Krieg wird

Der nachfolgende Gedankengang orientiert sich lose an Joe Haldemans Science-Fiction-Klassiker „Der Ewige Krieg“. Es geht darum zu zeigen, wie sich im Zeitalter der interstellaren Raumfahrt ein Konflikt gegen einen Lichtjahrhunderte entfernten Feind zu einem schier endlosen Krieg ausweitet. Mit anderen Worten: um einen Fall mit der Eintrittswahrscheinlichkeit von so etwa dreissig Nachkommanullen. Für einen Sci-Fi-Freund wie mich reicht das aber vollkommen aus, um sich näher damit zu beschäftigen!

Das Problem an der ganzen Sache ist das Reisen mit annähernder Lichtgeschwindigkeit zurückzuführen. Denn während die Soldaten den Flug zum Einsatzort als wenige Monate erleben, vergehen auf der Erde aufgrund der Relativität der Zeit Jahrzehnte. Diese Zeitdiletation (das „Reisen in die Zukunft“) führt zu gravierenden sozio-kulturellen Diskrepanzen zwischen den Militärs und der Zivilbevölkerung und zu verhängnisvollen wirtschaftlichen Folgen für die Menschheit. Der Effekt dieser relativistischen Zeitreisen ist umso grösser, je länger und je näher an der Lichtgeschwindigkeit gereist wird. Es kommt also auf die Geschwindigkeit und die Beschleunigung an. Im Roman reisen die Soldaten oft mit 90% Lichtgeschwindigkeit und können aufgrund von Druckkammern wochenlang mit bis zu 25 G beschleunigen bzw. abbremsen. Aus heutiger Sicht ist eine Reisegeschwindigkeit von 10% Lichtgeschwindigkeit bereits realistisch. Dabei wäre die Beschleunigung bzw. Abbremsung jedoch noch auf 1 G (Anziehungskraft wie auf der Erde), höchstens 3 G begrenzt, so dass es Wochen bis Monate dauern würde, bis die endgültige Reisegeschwindigkeit erreicht ist. Die Zeitdiletation einer solchen Reise wäre natürlich um ein Vielfaches geringer. Aber wir gehen ja von der Zukunft und seinen scheinbaren Unmöglichkeiten aus.

Fangen wir bei der Perspektive der Zivilbevölkerung an. Ein erster wichtiger Punkt ist sicherlich, dass Kriegsberichterstattung aufgrund der astronomischen Distanzen praktisch nicht vorhanden ist. Erstens ist sie aufgrund des Transportweges extrem kostenintensiv. Vor allem aber hinkt sie zweitens dem Geschehen zeitlich um Jahre hinterher. Denn einerseits muss die Information erst mal den extrem langen Weg zur Erde zurücklegen und anderseits reist man ja praktisch so schnell, wie man Informationen übermitteln kann, was dazu führt, dass Informationen in immer grösseren Zeitabständen eintreffen. Man kann sagen: Wenn eine Flotte zu einem Einsatz aufbricht, dann ist sie aus Sicht der Zivilbevölkerung einfach weg. Die Bewohner der Erde bekommen nahezu nichts von den Kriegsereignissen mit. (Wie wir später sehen werden, sind die Angehörigen nach ein, zwei Einsätzen ebenfalls kein Problem mehr.) Es gibt keine medienwirksamen, augenscheinlichen Argumente gegen den Krieg. Für die Menschheit ist er schlicht nicht-gegenwärtig. Was sie aber sehr wohl wahrnimmt, sind die positiven wirtschaftlichen Aspekte des Krieges und die positiven gesellschaftlichen Auswirkungen einer geeinten Erde. Das Volk hat keinen Anreiz, etwas gegen den militärischen Konflikt zu unternehmen.

Für das Militär erwächst aus der Zeitdiletation ein empfindlicher taktischer Komplexitätsschub. Entscheidungen werden immer risikoreicher und folgenschwerer, weil ein Einsatz fast unwiderruflich ist (man reist ja praktisch so schnell wie die schnellstmögliche Informationsübermittlung). Es kann von den Vorhaben fast nicht mehr abgewichen werden. Der Krieg büsst aufgrund der Zeitdiletation entscheidend an seiner kurzfristigen taktischen Komponente ein und beschränkt sich auf den langfristigen strategischen Aspekt. Er ist nichts dynamisches mehr, das über Tage oder Monate an die momentane Situation angepasst wird, sondern vielmehr die schlichte Ausführung eines Planes, der vor Jahren festgelegt wurde. Unterstützt wird die Tendenz zum ewigen Krieg dadurch, dass die Militärs aufgrund der exzessiven Nutzung von Hochgeschwindigkeitsflügen die ältesten Menschen überhaupt sind. Nach ein paar Jahren Dienst kann er bereits Tausend Jahre lang gelebt haben. Zwar wird es ständig von zeitgenössischen Individuen ergänzt, doch letztlich von uralten Menschen geführt. Während der Einfluss der Gesellschaft auf das Militär begrenzt bleibt, wächst der Einfluss des Militärs auf das Weltgeschehen mit der zwangsläufig zunehmenden Abhängigkeit der Wirtschaft und gesellschaftlichen Stabilität vom Krieg weiter an.

Dabei sind wir beim eigentlichen Problem noch gar nicht angekommen: dem wortwörtlichen Zukunftsschock. Die Soldaten haben vor jedem „Zeitsprung in die Zukunft“ keine blasse Ahnung, was sie am anderen Ende erwartet. Es werden ja bereits Jahrzehnte vergangen sein. Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass man auf einen waffen- und schildtechnisch entsprechend überlegenen Feind trifft. Es geht mir hier aber weniger um die technologische Komponente, sondern um die sozio-kulturelle. Denn alle Verwandten und Bekannten sind nach ein oder zwei Einsätzen bereits verstorben. Ebenso schockartig ändert sich die Kultur der Erde quasi von Auftrag zu Auftrag. Dies führt zwangsläufig zu einer zunehmenden Entfremdung der Soldaten. Die Menschheit als Ziel und Sinn der Sache verliert nach und nach an Bedeutung und an ihrer Stelle kommt die einzige vertraute Umgebung: das Militär, die Kameraden und schlussendlich der Kampf. Über die Generationen hinweg wird der Krieg endgültig zur Lebensweise. Der ursprüngliche Grund ist schon lange verloren gegangen.

Der temporäre Konflikt ist zum ewigen Krieg geworden.

6 Kommentare:

Unknown hat gesagt…

Moin Moin,

sehr guter Gedanken Gang, ich nehme an das du alle Bücher zum Ewigen Krieg gelesen hast.

gameria hat gesagt…

hi actionman,
danke sehr fürs Kompliment!

Mann, hab ich ehrlich gesagt ganz vergessen, dass es noch zwei andere Bücher (Der ewige Friede, Das Ende des Krieges) dazu gibt. Kennst du die?

Naja, auch wenn sich der Gedankengang wie bereits gesagt, nur lose am Buch orientiert, MUSS ich die beiden ja fast lesen.

Unknown hat gesagt…

Juhu! Wir werden Klingonen. Oder, und das wär noch cooler, Borg.

gameria hat gesagt…

Oder Space Marines!!

Unknown hat gesagt…

Hab die alle gelesen. Sie sehr gut, besonders die letzten beiden , die sich damit beschaftigen die "Alten" Krieger irgendwie in die "Neue" Gesellschaft einzugliedern.

gameria hat gesagt…

das hört sich ausgesprochen interessant an. hab schon beim ersten Buch gedacht, dass das jetzt sicher noch faszinierend wäre, mehr über die neue Welt zu erfahren.