Nachfolgende Kritik bezieht sich natürlich auf das hiesige
Review des Vorgängers.
Mein Shepherd gibts übrigens hier zu sehen.
Wo Mass Effect 1 sich noch in vielerlei Hinsicht als eher glänzende Space-Opera beschreiben liess, vollzieht Mass Effect 2 einen deutlichen aber gelungenen
atmosphärischen Wechsel von hell zu dunkel und präsentiert sich mehr als Unterwelt-Abenteuer. Es beleuchtet in erster Linie die Abgründe jenseits der bereits bekannten glänzenden Oberfläche der galaktischen Gesellschaft, schreibt Zwietracht hinter der scheinbaren Einigkeit gross und bereichert das ohnehin geniale Universum auf diese Weise glaubhaft um ein düsteres Kolorit.
Wahrhaft wegweisend am Nachfolger ist der
Einbezug der vom Spieler im Erstling getroffenen
Entscheindungen. Diese bestimmen tatsächlich einen tonangebenden Anteil des Spielerlebnisses. Besser noch: der Spieler wird glaubhaft mit unerwarteten, mitunter erdrückenden Konsequenzen seiner scheinbaren Lösungen konfrontiert und auf diese Weise in weitere, tiefgreifendere moralische Frag(würdigkeit)en verwickeln. Spürbar öfters warten die erneut ausserordentlich abwechslungsreichen und dramatischen
Hauptmissionen mit folgenschwereren Entscheidungen und echten Dilemmas auf als sämtliche mir bekannten Rollenspiele.
Die
Dialoge sind zwar allgemein kürzer, erweisen sich aber dank neuartiger Dialogoptionen (
farbige Antworten je nach gesammelten Abtrünnigen- oder Vorbild-Punkten), Quicktime-Events (
vorblidliches oder abtrünniges handfestes Eingreifen in den Dialog) und einer Menge neuer Gesten und Verhaltensweisen (
Figuren bewegen sich mehr im Raum während sie sprechen) als nochmals dynamischer. Und entgegen der schwindelerregenden Komplexität, die sich aus den möglichen Entscheidungen über die beiden Spiele hinweg ergeben, fügt sich ausnahmslos jede Dialogzeile, jede Geste, jede Kameraperspektive und jeder Schnitt reibungslos in einen in sich stimmigen Gesprächsverlauf ein. Filmreifer „inszenierte“ interaktive Dialoge hab ich bisher in keinem Videospiel gesehen. Daran mag der Umstand, dass Shepherd nun ärgerlicherweise seinen Helm auch in den Gesprächen nicht abnimmt, wenig zu ändern, da seine Körpersprache sehr ausdrucksstark ist.
Der Protagonist bekommt zwar ein weitgehend neues Team, doch glücklicherweise wird keines der ehemaligen
Gruppenmitglieder einfach fallengelassen und manch eines überrascht mit einem interessanten bis beunruhigenden Sinneswandel. Die neuen Mitstreiter sind analog zum Atmosphärenwechsel mehrheitlich zwielichtige bis alarmierend gewaltbereite Gestalten. Alle überzeugen jedoch genauso wie beim Vorgänger durch phantastische Modelle, klasse Mimik und Gestik, starke, eigenwillige Persönlichkeiten sowie passende, charakteristische deutsche Sprecher. Die Gruppenmitglieder werden zudem erfreulicherweise in grösserem Masse in das Spiel eingebunden. Es sind nicht nur mehr und damit mehr Gespräche und Kommentare, sondern jede von ihnen „beansprucht“ auch zwei Hauptmissionen: die Rekrutierung und eine persöhnliche Angelegenheit. Besonders letztere Einsätze sind ungemein emotionsgeladen und stellen sogar oftmals die Highlights des Spiels dar.
Die standardisierten, formal lieblos gestalteten
Nebenmissionen, der grösste Kritikpunkt des Vorgängers, sind zum Glück Vergangenheit. Sämtliche Einsätze – dauern sie auch nur wenige Minuten – werden mit einer individuellen kurzen Einführungs- und Schlusssequenz (
sowie meistens rasanten Zwischensequenzen und mehreren auffindbaren Video- oder Audio-Logs) versehen, haben einzigartige Levelbauten und finden meistens in einer einzigartigen Umgebung statt. Es gibt nur wenige belanglose Einsätze, welche passenderweise versteckt auf den Planeten sind und durch Planeten-Scans erst gefunden werden müssen.
Generell hat Bioware ein noch filmhafteres, kurzweiligeres Erlebnis angestrebt und lässt weitere
Rollenspielaspekte zugunsten eines erhöhten Spieltempos fallen, sodass Mass Effect 2 mehr denn je als Action-Adventure daherkommt. Es gibt nun keinerlei „Arbeit“ in Form von langen Laufwegen (
das Level muss niemals zurückgelaufen werden, es gibt keine Missionen wo mehrere Male hin und her gelaufen werden muss und Figuren schreiben nun zum Dank oder zur Anfrage einfach E-Mails, statt einen an den entsprechenden Ort zu bestellen), Mikromanagement in der Gruppe (
die Rollenspielanteile sind bis auf die Dialoge ohnehin noch weiter eingeschränkt worden) oder unübersichtlichen Schauplätzen und Levels mehr.
Das
Ballern, das infolgedessen noch grösseres spielerisches Gewicht bekommt, wirkt entgegen der mitunter scheintoten KI und dem mittelmässigen taktischen Tiefgang noch spassiger als im Erstling. Verantwortlich dafür sind unter anderem das neue Deckungssystem (
in Deckung gehen statt sichtverdeckendes Ducken), die grössere Gegnervielfalt, die Einführung von Waffenmagazinen (
statt Überhitzungspausen) und die klasse Akustik (
satte Waffengeräusche und treibende Musik). Hin und wieder wird es durch arg banale
Minigames für Hacken oder Überbrücken kurz unterbrochen. Ebenso belanglos ist leider das Ressourcen-Sammeln durch mausgeführte Planeten-Scans geraten. Hier wäre das Sammeln mit dem Gefährt, das dieses Mal ganz weggelassen wurde, wieder sehr atmosphärisch gewesen – wenn es denn etwas interessanter gestaltet worden wäre als bei Mass Effect 1.
Weniger Umstände sollte die Tatsache machen, dass das Spiel trotz des dieses Mal ausbleibenden Geldüberflusses immer noch viel zu einfach ist, weil man nun glücklicherweise jeden der fünf Schwierigkeitsgrade bereits beim ersten Durchspielen jederzeit ändern kann.
Insgesamt merzt Bioware mit anderen Worten nahezu sämtliche grösseren Schwächen des Vorgängers aus. Nur eine aber umso gewichtigere Sache macht es bedeutend schlechter als dieser: die
trilogieübergreifende Story. Wo beim Erstling die Hauptquests stets eng dem roten Faden der komplexen, existenziellen Hauptstory folgten und gerade deshalb begeisterten, bestehen die Hauptmissionen in der Fortsetzung vorwiegend aus Rekrutierungsmissionen bzw. Gefallen für die Gruppenmitglieder, welche zwar an sich grandiose Geschichten bieten aber auch eher für sich alleine stehen. Schlussendlich beschäftigt sich der Titel vielmehr mit den Folgen der Ereignisse des Erstlings und der Rekrutierung des Teams, anstatt die eigentliche Geschichte wendungsreich und rasant weiterzuerzählen. Die ganze Zeit rechnet man aufgrund der storytechnisch begeisternden Erfahrung mit dem Erstling und der grossartigen Missionen des zweiten Teils damit, dass Bioware noch was gebührendes im Petto hat, aber gerade
Finale und Epilog erweisen sich als vergleichsweise enttäuschend. Sie sind viel zu kurz, unspektakulär und es fehlt ihnen an richtigen Überraschungen. Auf diese Weise bleibt bei Spielende ein etwas fahler Beigeschmack zurück.
Fazit: Cineastisch wie literarisch superlatives, nun düsteres, weiter entschlanktes Action-Adventure mit Rollenspielaspekten, das in erster Linie durch die einzelnen emotionsgeladenen Missionen und höhere Frequenz an dilemma-geplagten Dialogen mit epischen Konsequenzen als durch die ins stocken geratene trilogieübergreifende Story begeistert. Ein typischer mittlerer Teil einer Trilogie eben. Trotzdem Höchstwertung: sechs Punkte!